Deutschland vs. Austrlien

13.June 2010 - Newcastle


Fußball in Australien

Nach drei Tagen Aufenthalt in der beeindruckenden Hauptstadt New South Wales, Sydney, beschlossen wir uns, teils aufgrund unseres unstillbaren Entdeckungsdrangs, teils aus finanziellen Gründen, und nicht zu letzt aus Selbsterhaltungstrieb, weiter gen Norden zu ziehen. Selbsterhaltungstrieb? Drei deutsche, fußballverrückte Backpacker im Herzen einer mit Adrenalin und Testosteron getränkten Drei-Millionen-Metropole, die mit jedem Atemzug danach lechzt ihre Mannschaft, als vermeintlichen Außenseiter, gegen einen der Titelfavoriten dominieren zu sehen, die aus jedem ihrer schier unzähligen Winkeln, bis auf den Tod eingeschworene Socceroosanhänger mobilisiert, um ihre Idole voranzupeitschen im Spiel der Spiele und die aufgrund ihres engverschachtelte und undurchschaubaren Straßensystems die Flucht für alle, die sich diesem Wahnsinn widersetzen und nicht über die nötigen Ortskenntnisse verfügen, unmöglich macht? Viel zu gefährlich! Also raus, aufs gemäßigte und ruhige Land, wo sich Krokodil und Koala noch eine Tüte Chips zum Fernsehen teilen ? auf nach Newcastle!
Newcastle hat sich gerade mal einen runden, ausgefüllten Punkt auf der Karte verdient. Hier kann man also getrost ein Deutschlandtrikot tragen, ohne es unter einer Australienflagge verstecken zu müssen. Dennoch brechen wir mit dem nötigen Respekt auf, schließlich ist Newcastle nach Sydney die größte Stadt New South Wales und hat immerhin doppelt so viele Einwohner wie Heilbronn.
Nachdem wir sechs Stunden Schlaf in Swansea Head getankt hatten, ging es um 2 Uhr morgens ab Richtung Newcastle.
Neben dem Ortsschild begrüßt uns ein Schild vierfacher Größe mit der Aufschrift: ?Newcastle, Australia?s Hunting Capitol?, also doch die Flagge übers Trikot. Ohne große Mühe finden wir einen Platz auf dem das Spiel übertragen wird. Hier nennt sich das allerdings nicht ?Public Viewing?, sondern ?Fanfestival?. Public Viewing hat hier so viel mit Fußball zu tun, wie ?historic Cemetery? mit einem historischen Zementwerk, das sollte man wissen, um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen.
Also hin zum Fanfestival. Da wir viele Aussis mit Campingstuhl sehen,beschließen wir uns, unsere auch mitzunehmen. ?Wir können sie ja noch ins Auto bringen, bevor die Meute am toben ist?, denken wir uns. Außerdem erkennt Dave den Nutzen der Stühle zur Selbstverteidigung.
Trotz der sehr unschmeichelhaften Uhrzeit (4.30 Uhr morgens) ist der Ansturm überraschend groß, dennoch werden es am Ende nicht mehr als 200 Fußballbegeisterte. Bisher weist das Fanfestival keine Gemeinsamkeiten mit unseren Fandörfern auf. Es wird weder gesungen noch gefeiert oder gepöbelt (striktes Alkoholverbot auf dem gesamten Gelände, toll!), es erinnert mehr an einen Fernseherabend bei Omi mit mehr Menschen und einem unbeheizten Wohnzimmer mit Sternentapete. Nur die näherkommenden Trommeln in der Ferne lassen uns jetzt noch hoffen.
Kurz vor Spielbeginn, die meisten haben bereits Platz genommen, greift ein ?Moderator? nach dem Mikrofon und spricht zu der Menge. Ja, das kennen wir, jetzt beginnen die Fangesänge! Nichts da, der Redner bittet darum, auf die Nachbarn Rücksicht zu nehmen und leise zu sein. Wie bitte?! Wo sind wir denn da gelandet? Den Mob haben wir uns aber ganz anders vorgestellt. Jetzt, da wir wissen, dass hier die Emotionen wohl eher nicht hochkochen, kann man auch mal lässig das Deutschlandtrikot unter der Flagge vorblitzen lassen. Prompt werden wir von einer Australierin angesprochen:?Oh, you are french guys??. Unsere ratlosen und entsetzen Gesichter sagen mehr, als wir alle drei zusammen auf Englisch hinbekommen hätten?
Ein kurzes und gehemmtes Klatschen beim Anpfiff geht unter im Läuten der Kirchturmglocken direkt neben an. Danach gebanntes Mitfiebern. Bei dem frühen 1:0 haben wir das Gefühl, nur wir hätten das Tor gesehen. Wir platzen beinahe vor Freude, fürchten allerdings die australische Jagdvernarrtheit und feiern lieber im Stillen. Beim 2:0 beißen wir uns überglücklich sogar auf die Fäuste. Was für ein Fußballfest! Totenstille. Die Aussis schauen auch weiterhin ohne äußerliche Regung. Zur Halbzeit ist es sogar dem Mann mit dem Mikrofon zu leise und er will die Fans zum Toben bringen, um einen extra angereisten Fernseherteam, der Kragenweite LTVs, emotionsgeladene Bilder zu bescheren. Die Kamera hält auf die Menge und der Moderator bringt ein müdes ?Aussi Aussi Aussi? über die Lippen worauf die Menge ein beinahe apathisches ?Go Go Go? erklingen lässt. Dave stimmt das ?Hol mir einen Stern vom Himmel?-Lied an.
Die zweite Halbzeit verläuft im Allgemeinen ähnlich unspektakulär ab. Beim 4:0 verlassen die ersten das Fanfestival. Wir freuen uns wie Schneekönige, denken uns aber, dass wir wohl problemlos in Sydney hätten bleiben können und fahren keine fünf Minuten nach Spielende schon wieder auf dem Pazific Highway Richtung Norden.
Das Spiel der DFB Elf hat keine Wünsche offen gelassen, allerdings hatten wir uns von dem Fanfestival mehr erhofft. Immerhin wissen wir jetzt, das deutsche Fandörfer die besten der Welt sind und werden pünktlich zum Abpfiff mit einem herrlichen Sonnenaufgang entschädigt.
Erst um Deutschland im Finale zu unterstützen wollen wir wieder auf ein Fanfestival. Bis dahin verfolgen wir die Spiele höchstens im Radio. NACH der auditiven Übertragung darf jeder von uns einen Tipp abgeben, wie das Spiel ausgegangen ist. Somit zaubern wir uns doch noch eine spannende und unvergessliche WM.