Exmouth

13.August 2012 - Exmouth


Nach zwei wundervollen Tagen im Karijini Nationalpark und auf dem Highway, waren wir nun zurück an der Westküste. Allerdings war Exmouth eher wieder ein emotionaler Tiefpunkt unserer Reise. Ich hatte ja schon mal erwähnt, dass wir seit dem Einbruch in unser Auto am ersten Tag in Darwin zu paranoiden Gedankengängen neigten. Zwei Nächte zuvor hatte ich Albträume, in denen wir unser Auto wortwörtlich während wir schliefen zu Schrott gefahren haben, weil wir die Handbremse nicht angezogen hatten... Ich bin am nächsten Morgen mit einer Angst aufgewacht, von der ich gar nicht mehr wusste, dass ich sie noch hatte. Ich hatte keine Angst darum, dass uns etwas passiert, sondern viel mehr darum, dass wir aufgrund dessen, dass etwas mit dem Auto nicht stimmt, unsere Reise nicht zu Ende bringen können. So gut ich auch sonst immer im Auto auf meinem geliebten Beifahrersitz schlafen konnte (Chrissi hat übrigens eindeutig die Rückbank bevorzugt) jedes kleinste Geräusch beim Fahren hat mein Herz rasen lassen.
Zum Glück sind wir an dem Tag in den Karjini Nationalpark gefahren und die wunderschöne Landschaft hat mich die Angst wieder etwas vergessen lassen. Weil wir wussten, dass wir viel auf unbefestigten Straßen fahren würden, haben wir vorher noch den Reifendruck getestet und auch Motoröl und Kühlwasser nachgefüllt. Und nachdem das Auto sich gut auf den Schotterstraßen rauf und runter hat fahren lassen, hatte ich mein Vetrauen in das Auto auch wiedergefunden und fühlte mich wieder wohler.
Nun zu Exmouth.
Der Grund warum ich nochmal ein bisschen ausgeholt habe, ist der, dass es besser nachzuvollziehen ist, warum das Folgende eine solche Tragödie für uns war. Es war spät Nachmittag als wir nach einer kleinen Stranddusche im Freien auf einem Parkplatz am Meer auf dem Rückweg in die Stadt waren. Die Dusche hat sich nebenbei bemerkt eher angefühlt, als hätte mir einer mit einer kleinen Gießkanne Wasser über den Kopf geschüttet, aber es war glaube ich das außergewöhnlichste Duscheerlebnis des ganzen Roadtrips, weil es direkt neben der Straße war. Das Duschen war sowieso immer ein Highlight. Vielleicht weil es nicht garantiert war, dass wir eine Dusche finden würde, wenn wir sie gerade gebrauchen konnte. Weil man jedes Mal den ganzen Ort nach ihr absuchen musste. Weil wir uns manchmal auf den Campingplatz geschlichen haben, um nicht für die Nutzung der Duschen bezahlen zu müssen. Manchmal, weil es früh morgens war und tierisch kalt. Und manchmal widerum, weil es einfach eine Wohltat war, eine Dusche oder sogar ein schönes Badezimmer zu haben, nachdem man sich sonst das Gesicht und die Zähne draußen mit einer Wasserflasche wäscht und putzt und im Busch auf Toilette geht. Ich kann mich an ein zwei Duschen erinnern, über die wir uns ungelogen, wie ein kleines Kind an seinem Geburtstag gefreut haben!
Ok, so viel zu den Duschen.
Wir waren also mehr oder weniger sauber auf dem Rückweg von dem Leuchturm auf der Landspitze in die kleine Stadt Exmouth auf einer kleinen Küstenstraße unterwegs, als wir oder eher ich ein Känguru angefahren haben. Mitten im Satz fing Chrissi auf einmal hysterisch an zu schreien, aber so schrecklich, wie ich glaube ich noch nie einen Menschen schreien gehört habe. Erst dann habe ich das Känguru gesehen, dass von rechts nach links vor unserem Auto herhüpfte. Ich habe noch einen kleinen Schlenker nach rechts gemacht, aber wir haben das Känguru trotzdem mit der linken vorderen Ecke erwischt. Nach ca hundert Metern war ich soweit, dass ich endlich bremsen konnte und links ran gefahren bin. Und nach ca zwei weiteren Sekunden die Entscheidung treffen konnte, umzudrehen. Chrissi war schon aus dem Auto gesprungen, ich habe sie aber wieder eingesammelt und bin dann langsam zurückgefahren, bis wir das Känguru am Rande der Straße liegen sahen. Ich habe mich gar nicht getraut hinzusehen, Chrissi ist sofort in Tränen ausgebrochen und hat versucht sich dem Känguru zu nähern, kam dann aber zurück und meinte, es versucht wegzulaufen, kann aber nicht aufstehen. Ich war inzwischen am Telefon und habe einer Frau von der Polizei erklärt, dass wir ein Känguru angefahren haben und einen Ranger brauchen. Ich hing daraufhin mindestens fünf Minuten lang in der Warteschleife und bin im Kreis um das Auto gelaufen, während Chrissi weinend das Känguru angestarrt hat. Nachher war es ihr peinlich, dass sie so kindisch reagiert hat, aber ich kenne sie und weiß wie empfindlich sie bei Tieren ist. Sie meinte später es wäre gut gewesen, dass nicht sie am Steuer gewesen ist, sonst hätte sie das Auto mit Sicherheit in den Graben gefahren. Ich war eher über mich erschrocken, dass ich gar nicht daran gedacht habe, mir das Känguru anzusehen und obwohl ich sicherlich schockiert war, gar nicht so mitgelitten habe. In dieser Situation wurde mir bewusst, dass ich durch die Zeit auf den Cattlestations wirklich abgestumpft war. Es war ein Känguru mehr zu den hunderten, die wir jeden Tag am Rande des Highways oder mitten auf der Straße liegen sehen. Ich wurde vielmehr aggressiv, weil das Tonband am Telefon zum zwanzigsten Mal von vorne startete und mir erklärte, dass ich mich strafbar mache, wenn ich beim Autofahren telefoniere!
Dann endlich meldete sich wieder eine andere Stimme, der ich alles nochmal erklären musste. In diesem Moment hielt allerdings ein Geländewagen neben Chrissi auf der anderen Straßenseite an, der, wie sich glücklicherweise herausstellte, zu einem Ranger gehörte, der zufällig vorbeigekommen war. Er war sehr freundlich, hat nichtmal groß gefragt, was passiert ist, sondern nur erklärt, dass er sich um das Känguru kümmert und dass wir gerne weiterfahren können, wenn wir wollen. Gleichzeitig hat das Känguru aber seinen letzten Atemzug gemacht und ich habe es zum ersten Mal überhaupt angesehen. Es sah eigentlich gar nicht so schlimm aus, nur das eine Hinterbein war zertrümmert. Chrissi meinte auch es hat keinen Muchs gemacht, es ist schon eine seltsame Situation. Langsam und schweigend sind wir dann zurück in den Ort gefahren und erst da habe ich angefangen zu zittern und zu realisieren, wie elend ich mich fühlte. Das war sogar schon das zweite Känguru, dass wir oder eben ich getötet hatten. Das erste war im Kakadunationalpark. Es ist uns einfach in die Seite gelaufen, ich hatte keine Chance irgendetwas zu machen. Kängurus sind bekannt dafür, dass sie solche Sachen machen und wortwörtlich in die Autos reinlaufen, anstatt zur Seite zu hüpfen. Aber dieses Mal war es irgendwie etwas anders, weil es vor dem Auto hergelaufen ist. Dadurch hat man das Gefühl, man hätte ja vielleicht langsamer fahren können und bremsen können, wenn man es früher gesehen hätte. Ich weiß nicht, wo ich in dem Moment mit meinen Augen war, jedenfalls habe ich es überhaupt nicht gesehen. Jeder weiß, dass wenn man lange Zeit Auto fährt, nicht jede Sekunde zu hundert Prozent konzentriert auf die Straße schaut, aber man fühlt sich natürlich ziemlich ertappt, wenn dann etwas passiert.#
Bei all den tausenden Kilometern, die wir letztendlich gefahren sind, ist es vielleicht statistisch gesehen nur normal, dass man ein Känguru tötet, aber zwei innerhalb von zwei Wochen, war für meine Nerven doch erstmal zu viel. Ich hatte wirklich keine Lust mehr Auto zu fahren und habe mich in den nächsten Tagen erstmal nicht getraut schneller als 90km/h zu fahren. Es waren auch noch so viele Schafe direkt am Straßenrand, die sich kaum wegbewegt haben, aber kein anderes Tier scheint mir so komische Instinkte zu haben wie Kängurus und so, noch nicht einmal panisch (!) in Autos reinzuhüpfen.
Trotzdem habe ich danach jedes Tier vor das Auto laufen oder fliegen sehen.