keine zweite Chance fuer den ersten Eindruck...oder doch?

30.May 2013 - Montreal


Seit ich in Montreal angekommen bin, schlummert der Blogeintrag 'premieres impressions' ohne Text und mit wenig Bild so vor sich hin. Das soll nicht so bleiben, denn ein Blick auf diese Stadt lohnt sich wirklich mehr als sehr. Eigentlich ist es nicht richtig, am Ende meines 4-Wochen-Aufenthaltes meinen ersten Eindruck schildern zu wollen, denn da hatte Montreal ja nun schon mehr als eine Chance, selbigen aufzupolieren. Allerdings muss es das gar nicht. Eher musste es mir
Zeit geben, es besser kennenzulernen und seine vielen Facetten, die so gänzlich anders und doch so vertraut sind, zu verarbeiten. Und so ist es ja egal, ob man erste oder letzte Eindrücke schildert, entscheidend ist doch, dass sie bleibend sind. Montreal wird mir in ausnahmslos guter Erinnerung bleiben. Eine 4-Millionen-Stadt, die mich trotzdem nicht klein und eingeengt fühlen ließ, die vor Lebensqualität und Kultur nur so strotzte. Dieses Montreal ist geduldig, lässig, es ließ mich in seiner modernen und monumentalen Art staunen und beobachten, ohne mich zu stressen. Der größte Vorteil dieser Stadt: ihre lebendige Ruhe!
Sie lebt, aber sie pulsiert nicht. Sie ist farbig, aber nicht verwirrend bunt, sie bewegt sich, aber sie rotiert nicht. Ich bin nicht sicher, ob es ihre außerordentlich coolen, gelassenen Einwohner sind, die dieses Bild hinterlassen, oder Montreal selbst. Seine Backsteingebäude mit ihren wirklich einzigartigen Treppen, seine Grünflächen, das Geräusch von Longboardfahrern auf den immensen Straßen (mit einem zunächst verwirrenden Einbahnstraßen- und Ampelsystem - einfach ignorieren ;)..)
Irgendwie hat Montreal viel vom 'American Dream': groß, größer, Autos, die so riesig sind, dass sie ein Rückwärtsfahren sicher piepen müssen. Auch die gelben Schulbusse und der Dollar. Aber das alles eben à la Française, denn die Busse heißen 'Ecoliers', der Dollar hat 'Centimes' und so weiter. Vielleicht ist auch die Coolness der Menschen fast schon amerikanisch, aber ich bin mir sicher, dass man dort das Zusammenleben mit Ausländern, Schwulen und Lesben oder auch Englisch- und Französischsprechern nicht so einfach hinnimmt, wie hier.
Und nun noch eine Zusammenfassung kleiner aber feiner Besonderheiten: Streetart findet man hier fast überall, ein Graffiti hier, ein Poster da. Aber niemals Geschmiere! Da tagt keiner an die frischgestrichene Hauswand des Nachbarn! Und warum? Weil es genug offiziellen Platz gibt, für die eigene Kunst. Gut so! Weniger gut: die angebliche krasse Wohnungsbaumafia in der Stadt, aber die kann mir ja zum Glück egal sein. Ziemlich lustig finde ich auch die Strudelartigen Klospülungen ähnlich der Flugzeugtoiletten, die Türknäufe, die man aufdreht, die Verkäuferinnen, die dich im Sprachgewirr mit 'Bonjour Hey!' begrüßen. Vor allem das Viertel HoMa, in dem ich bei Leo wohnte, wird mir in schöner und lustiger Erinnerung zugleich bleiben: jeder zweite hat hier einen Hund, jeder dritte einen Kampfhund. Für die gibt es dann auch Hundespielplätze und -Ausläufe mitten in der Stadt. Insgesamt ist das Viertel ja eh eine etwas bittere Spielwiese, da sich die Prostituierten in der Rue St.Catherine und Préfontaine sogar tagsüber die Beine in den Bauch stehen. Doch sie waren nie
unhöflich, aufdringlich, störend. Genauso die Bettler vor Einkaufsläden, die einem immer ein Kompliment mit auf den Weg gaben. Besonders lächele ich noch über die Familie Flodder, die jeden Abend auf Plastikstühlen vor dem Haus mein Joggingprogramm begutachtete oder den Chinesen im Dépanneur direkt an der Ecke, der wirklich kein aber auch gar kein Wort französisch sprach. Und das Albino-Ahörnchen vom Baum direkt vor der Haustür, all das behalte ich in Erinnerung. Dieses Viertel mit seinen vielen parallel ablaufenden Leben, ein bisschen wie ein altes Bordell, ein Flickenteppich, ein Film mitten aus dem Leben, das mochte ich sehr. Vor allem aber mochte ich Leo und die Leichtigkeit des Seins in dieser Stadt.

Erkenntnis des Monats: Montreal du bist wunderbar!