Los Angeles: Endlich gelandet. Keine flugzeitlichbedingten Verzögerungen oder Abweichungen, dafür 48 Stunden Christmas Day und einen Tag enormen Ausmaßes.
Nachdem ich mir in Auckland alle Zeit der Welt lassen konnte und vor 7 Uhr morgens nicht mit dem Packen beginnen brauchte, blieben mir ganze zwölf Stunden bis zu meinem Flug in Neuseeland bestehen. Welch schwarzer Tag, an dem ich das Paradies verlassen und in einem dreckigen Moloch landen würde: Hamburg.
Aber zuvor Amerika. Das tröstet.
Doch vorerst Strand - liegt förmlich vor der Haustür - den ich seit dem Anbaden in Taupo auch nicht mehr missen wollte.
Das Gute: Der Busverkehr rollte trotz ersten Weihnachtsfeiertages, dem eigentlichen Feiertag in Neuseeland und jedem anderen englischsprachigen Land - wie sich am Telefon herausstellte - einschließlich Amerika, was das lieblose Zerreißen von Geschenkpapier am 24. im Hause Shannon Tolleson vor eine erhebliche Ausnahme stellte und im Grunde genommen nur daher rührte, dass die Familie die deutsche Schokolade bereits durch die Pakete gerochen hatte und nicht mehr warten konnte-slash-wollte.
Genauso wie der an Feierlichkeit kaum übertreffende Besuch bei Wendy's, der sich in ähnlicher Art und Weise in Los Angeles wiederholte. Genau drei Jahre und einen Tag später.
Da kommt vielleicht Festtagstimmung auf.
Logisch, denn Kellner und Köche aus gutem Hause - so war es 2005 zumindest offiziell geplant - kriegen auch mal frei und das diese Berufsbezeichnung auf Mitarbeiter von Fastfoodrestaurants nicht unbedingt zutreffen könnte, versteht sich von selbst. Im Grunde genommen kleine, pubertierende Kinder mit Aknenarben, die ihr geschändetes Gesicht in der Anonymität der spritzenden Friteusen wärmen können und die Zigaretten ihrer alkoholisierten, zahnlosen Mutter riskieren, sollten sie ihre Zahnspange zeigen, den Mund aufmachen und darüber hinaus in derben Straßenslengh noch Urlaub fordern. Die armen Würstchen. Pardon, die armen Burgerpatties wäre passender.
Bei McDonalds hatte ich allerdings kein Glück, was bedeutet, dass die Arbeitsbedingungen unter einem besonders guten Stern stehen müssen. Wer's glaubt. Nur Starbucks von gegenüber und ein Burritoplace um die Ecke standen wie gewöhnlich zur Verfügung.
Ähnliches Spiel auch in Auckland, wo neben den erlesensten Coffeeshops, nur Gammelfleischdöner, 24-Stundenmärkte, die die Dreistigkeit besaßen und den Sushi vom Vortag, und Souvenirshops, die den Plunder der letzten drei Jahre anboten, geöffnet hatten, was ziemlich enttäuschend war, nachdem ich ausgehungert vom Luxusvorort Takapuna Beach zurückkehrte und nach dem Baden an picknierenden Einheimischen vorbeiwatscheln musste, die ausnahmsweise kein Stück Wurst auf Brot für einen schwächelnden Backpacker haben abzweigen wollen. Wo bleibt da bitteschön die Nächstenliebe? Es ist Weihnachten und vielleicht sollte ich in die Kirche gehen. Aber nein, lieber nicht.
Wenigstens lief der Flugverkehr routiniert und nahezu reibungslos - die Verständnisprobleme, verursacht durch ungeschultes, asiatisches Personal gestaltete das Einchecken doch ein wenig schwieriger als eingangs geglaubt - über die Bühne, vom fehlenden, schlanken und jungen Stewardessenaufgebot mal abgesehen, das auf irgendeiner Airporttoilette doch ein Kind gezeugt haben muss, Mutterschutz beantragte und nun Weihnachten mit Sprössling und Trolley unter zwei Gepäckwagen feiert, ehe es Freitag ohne Kind und Kegel weitergeht.
Donnerstag - es lag wohl an eben genannten Grund - versammelte sich aber ein regerechtes Gruselkabinett über den Wolken, dass mir fast der Atem stockte: Alte Frauen und dicke Männer, die nur zu besonderen Anlässen ausgegraben werden, 364 Tage im Jahr aber nicht vorzeigbar sind und Invalidenrente beziehen.
Dass die verstaubten Auslaufmodelle der vorherigen Generation - die Uniformen hatten den Mottenkugelnbefall des letzten Weihnachten offenbar heil überstanden - ein wenig außer Übung waren - der Dicke konnte sich nur mühsam durch die Gänge quetschen, während der klapprige Rentner die Weingläser mit zitternden Händen nicht richtig zu Fassen bekam und auf dem passend mausgrauen Teppich verschüttete. Dass bei dem Glasscherbenhagel kein Passagier zu Schaden kam, kein Augenlicht erlosch oder der Nadelstreifenanzug vom Mann gegenüber nur knapp verfehlt wurde, verdankte der Unglückselige dem puren Glück. So ein Trottel. Wollen wir hoffen, dass wenigstens die Piloten ein wenig geschickter auftraten. Ansonsten nicht auszudenken - überraschte mich nicht, was deren Anwesenheit nicht gleichzeitig legitimierte. Ich konnte dieses Verhalten schließlich nicht billigen.
Neben den Flugbegleitern auf dem Abstellgleis versagte auch die Technik. Nein, natürlich nicht im Cockpit, dafür und schlimm genug auf meinem eigenen Sitz. Während bei allen anderen der Fernseher schon beim Einlass lief, blieb meiner schwarz. Wie die Nacht. Tolle Voraussetzungen für einen Flug, der glatt zwölf Stunden währt, ich aber chronisch nicht schlafen kann.
Die Ereignisse überschlugen sich an diesem Donnerstagabend im Abteil zweiter Klasse und ich schnappte mir den ersten Steward, den ich zu Greifen bekam. Einen Inder. Ist das exotisch. Natürlich auch kein Weihnachten, gottverdammter Gotteslästerer.
Was soll's. Für mich war erster Weihnachtsfeiertag und ein Grund mehr, auf ein vollständig einsatzfähiges Entertainmentsystem zu bestehen.
Als mir nach zwei erfolglosen Versuchen, das Ding zu starten fast der Kragen platzte, krallte ich mir die Brillenschlange erneut. Diesmal um einen anderen Platz zu fordern, einen Platz, equivalent zu meinem. Luftig und am Gang.
Das erste Angebot, das er mir machte, gleich neben der Durchreiche, wo einem die Essenswagen gegens Knie stoßen, lehnte ich dankend ab, wollte mich für die Bemühungen aber erkenntlich zeigen und schlug vor, den Platz zwei Reihen dahinter einzunehmen, wo ausschließlich der Sitz am Fenster besetzt war und sogar ein Mädchen meines Alters saß. Eine australische Muslimin. Man muss schließlich weltoffen sein.
Ein Moslemmenü und Geschenke an Weihnachten, da hat es jemand mit der Religion aber nicht so genau genommen. Schade, mit Koran kann ich leider nicht aushelfen. Tora vielleicht?
Nein, aber einen Jihad wollte sie nicht gleich beginnen. Wie beruhigend.
Solange sie keinen Bewegungsdrang verspürte oder die Toilette überproportional oft hätte aufsuchen müssen - einen derben Durchfall nach dem Essen zum Beispiel - war mir alles Recht. Dass sie ihr Gericht vor allen anderen - viel entscheidender aber vor mir - bekam, kotzte mich schon ein wenig an. Die Hure.
Nein, Spaß beiseite, denn ich persönlich war so klug und organisierte mir sogar ein zweites. Folgendermaßen konnte ich die Beschränkt -und Schläfrigkeit der Stewards überlisten, der aus lauter Trantütigkeit nämlich vergaß, die zweite Heißkomponente wieder zurückzufordern. Ich hatte ihn höflich darum gebeten, mir doch das Chicken zu bringen, nachdem meine erste Wahl, die Beefcasserole nicht ganz meinen Erwartungen entsprach und bereits eingedellt, sprich unzureichend war. Das Hähnchen hingegen - habe ich beim Nebenmann gesehen - war prall und voll. Lange genug musste ich im Flugzeug den Kürzeren ziehen, hatte weniger Salat und weniger Obst als alle anderen - und da wundere sich noch jemand über meine KZ-Statur. Am Fliegen liegt's - doch damit war nun Schluss. Ein für alle mal.
Ein kleines Verwechslungsspiel genügte, in dem ich das abgegeben geglaubte Rind unter meinem Sitz platzierte und erst dann austauschte, als das Hähnchen verspeist war. Die Flugbegleiter waren mit dem Nachschenken von Wein - ich hätte auch gern noch ein Gläschen Sauvignon. Zum besser Schlafen - beschäftigt und merkten nichts. Erst als jemand nach der Landung des Flugzeuges das Abteil feudelte, musste die üppig gefüllte Prospekttasche zwangsläufig aufgefallen sein und Aufsehen erregen: Ein dreckiges Porzellanschälchen von Air New Zealand. Aber spätestens dann war's unterm Rockwipfel verschwunden und ziert nun die schäbige Holzhütte am Ende der Rollbahn.
Jetzt hatte ich zwei Gerichte und Brötchen und Käse und Cracker und Obst und Salat und Wein und Eis, sodass ich mir noch einen Vorrat für die Nacht anlegen konnte. Ein Mitternachtssnack, für schlechtere Zeiten, der grundsätzlich vergessen wird. Man soll schließlich schlafen. Aber sicher doch.
Pure Zeitverschwendung, sich ein Film nach dem anderen entgehen zu lassen. James Bonds "Casino Royale" wäre es allerdings wert gewesen zu verpassen, aber so kenn ich beide und kann resümierend festhalten: Scheiße. Einen dritten werde ich mir sicher nicht ansehen.
Dafür Amerika. In Kürze.
Nachdem wir Los Angeles um 10.15 Uhr auch tatsächlich erreichten, nutze mir die Morgenstunde reichlich wenig. Die Einwanderungsbehörde hatte geladen und winkte mit saftigen Strafen - unter anderem auch Guantanamó Bay - sollten die Einreiseformulare nicht sorgfältig ausgefüllt worden sein.
Dass die Zeiten rauer werden, merkt man daran, dass man nicht mal mehr den Weißen traut: Brauchte ich 2005 nur zwei einzelne Finger auf den Scanner legen, waren es 2008 gleich beide Hände. Wo soll dieser Wahn bitte noch hinführen und vor allem, was kommt als nächstes? Vielleicht ein Abstrich?
Fortsetzung siehe ... Ein Platz an der Sonne mit Schattenseiten 2