Das Warten hat ein Ende

21.December 2008 - Taupo


Sturm und mieses Wetter prägten meinen Aufenthalt in Neuseelands kleinen Hauptstadt - äh Neuseelands Luftsportzentrum Taupo, zwei Dinge, an die man sich weniger gerne zurückerinnert: Muffige Wanderschuhe und stinkende Socken als Resultat blieben jedoch bestehen - auch der Dormroom im Aucklander Nomads Fusion konnte sich daran noch erfreuen - und machten den Great Lake Walkway, über dem eine derartig schlechte Wetterfront hereinbrach, zu einem unvergesslichen Erlebnis, welches die ersten drei Tage mit dem nur unvorstellbarsten blauen Himmel nahezu verdrängte.
Wie gut, dass ich meinen Skydive extra aufgeschoben und alle vorherigen Chancen - Fox Glacier, Lake Wanaka und Queenstown um nur die landschaftlich spektakulärsten und zur Hauptsaison nicht wesentlich teureren Standorte zu nennen - ungenutzt gelassen habe. Schande über mich. Doch zwei Möglichkeiten bestanden noch: Lake Taupo oder Neustadt-Glewe, wobei von vornherein klar war, wie unattraktiv die Mecklenburgische Seenplatte mit zwei Bauern im Mähdrescher als Hauptattraktion eigentlich ist.
Wenn man sich das Wetter über Taupo allerdings genauer betrachtete - unterm Regenschirm - dann fiel die erste Möglichkeit schon weg. Durch ein schwarzes Loch wollte ich nun wirklich nicht fallen, zumal die drei Veranstalter eh "abspringen" würden. Etliche Termine wurden auf den Nachmittag verschoben um letztlich doch nur abgeblasen zu werden.
Um sicher zu gehen, tatsächlich springen zu dürfen, habe ich mir bei allen drei einen Rückhalt verschafft und jeweils drei Zeiten pro Tag ausgesucht, was angesichts der prekären Lage nicht unbedingt von Erfolg gekrönt war. Egal, anderthalb Tage hatte ich ja noch. Und ein Paar Halbschuhe und Sandaletten für schlechtes Wetter auch.
So hatte ich mir meinen Aufenthalt sicher nicht vorgestellt: Ein Tag grauer als der andere. Im Gegenteil: Warten wollte ich. Ganze drei Tage, bis schließlich nicht ein Schäfchenwölkchen mehr zu sehen war. Aber das Wetter konnte ich kaum beeinflussen und so fand ich mich mit dem Gedanken, gar nicht zu springen, schon halbwegs ab. $499 waren besser gut investiert. Ich schmeiß doch kein Geld aus dem Fenster, pardon aus dem Flugzeug, heraus.
Aber wandern kann ich ja noch. Das ist umsonst. Und nass. Bitte nicht so lange: Der Termin um 2 Uhr muss noch abgesagt werden. Telefonisch. Oder gar bestätigt? Nein. Wieder nichts.
Wenigstens hatte ich morgens Zeit für ein ausgiebiges Frühstück, nachdem ich von süßem Müsli, Cornflakes oder Peanutbutterbrötchen beinahe hab kotzen müssen. Etwas Deftiges musste her: Käseomlette, Bacon und Baked Beans - eine neuseeländische Spezialität, die ich anfänglich noch belächelt habe - auf Toast und Käse. Yummy.
Zeit bis halb 10 Uhr: Dann war der nächste Anruf fällig. Klasse. Und so richtete sich jede einzelne Sekunde in Taupo dem längst überfälligen Skydive. Oder halt nur der Wartezeit.
Zwar war ich für zwei Stunden am Mittag und vier am Nachmittag entbehrlich, konnte durchs Gewerbegebiet oder die lokalen Supermärkte schlendern beziehungsweise zu den Huka Falls laufen, aber mehr ging nicht. Beim besten Willen nicht.
Eines Morgens wachte ich auf - nach dem penetranten Klingeln meines Weckers - um 7.45 Uhr und fand einen blauen Himmel vor. Vereinzelt ein paar Wolken. Nicht der Rede wert. Doch Panik schieben brauch ich nicht. Stattdessen Abwarten. Es sah schließlich jeden Morgen so aus und binnen drei Stunden - den 10 Uhr Termin habe ich grundsätzlich ausfallen lassen und nur als Sicherheit getätigt. Ich wollt nämlich keine blöde Handycam, sondern einen Kameramann, der neben einem besseren Video auch noch zig Freefallpictures schießt, die man sich anders als die DVD auch noch ein zweites Mal anschaut. So blieben nur noch zwei Veranstalter: Freefall und TTS - hat sich das Blatt sowieso wieder gewendet. Binnen drei Minuten schon. Doch heute war es anders. Es war Sonntag, der vierte Advent - wenn ihn Neuseeländer auch nicht kennen, geschweige denn feiern - und Zeit für ein vorweihnachtliches Geschenk.
Seit meiner Absage bei Skydive Taupo um 10 Uhr klarte es immer mehr auf und ich wusste, die einmalige Chance war gekommen. Ich musste sie nur ergreifen.
Es war der letzte Tag und ich konnte und wollte nicht bis zum Nachmittag warten. Niemand wusste, was die Zukunft bringt. Ich schon gar nicht. Also jetzt oder nie:
Ein Anruf genügte und mein Flug war bestätigt. Gegen 13 Uhr kam auch schon der ?Complimentary Pick-up Service? von ?Freefall? vorbei und rollte die 8 km von der Rainbow Lodge bis zum Flughafen. 8 km und noch eine Stunde Vorbereitungszeit mit Flug, die mich von meinem Sprung aus gut 15.000 Fuß Höhe trennten. Formalitäten im Auto, Formalitäten in der Lounge und die Sache war besiegelt: Knapp $500 mit Video, Fotos und T-Shirt im Pack. Unterschrift hier, da, Bezahlen später. Es kann losgehen.
Ein bisschen skeptisch war man schon, als das Flugzeug landete und kurze Zeit später zehn Tandemmaster und oder Kameramänner die Erde erreichten, offenbar aber nicht so in Wallung gerieten, dass sie fünf Minuten später gleich noch einmal sprangen. Diesmal mit uns. Es hatte ein bisschen was von Massenabfertigung, aber an der Seriosität dieses Unternehmen wollte ich nicht zweifeln. Hätte auch nichts gebracht, ich war schließlich schon in den roten Overall geschlüpft und hatte Schutzbrille, Kopfbedeckung und Sauerstoffmaske beisammen.
Mein Tandemmaster Chris wäre heute erst zwei Mal gesprungen, verriet mir aber Nummer 16 als sein Maximum. Beruhigend.
Aber tief durchatmen, die Kamera war schon mit dabei und filmte Anziehen, Einsteigen, Flug und folgte dann unmittelbar beim eigentlichen Sprung.
So saßen ich und alle anderen - dicht ins kleine Flugzeug gequetscht - fest mit Tandemmaster verbunden und warteten, warteten und warteten. 2.000 Fuß, 6,000 Fuß, 9.000 Fuß, 12.000 Fuß und die Luke wurde aufgerissen. Der erste war bereits aus dem Flugzeug gefallen, da nahm die kleine Maschine erneut Schwung um uns auf 15.000 Fuß Höhe zu hieven, wo auch der letzte abgeworfen wurde. Von Kameramann, Tandemmaster bis natürlich einem selbst.
Schon die letzten Minuten waren bitterkalt gewesen und machten weniger Lust auf mehr, waren aber neben der Positionierung an der unmittelbaren Öffnung - man wurde zurück ins Flugzeug gedrückt, während der Tandemmaster versuchte dagegen anzukämpfen und die Ladung mit voller Kraft nach außen zu stemmen - die unvorteilhaftesten Momente des gesamten Sprungs.
Dann fiel man schon, konnte die ersten paar Sekunden zwar weder denken noch sehen - zumindest nicht in die Ferne - fing sich aber relativ schnell wieder um die verbleibenden 45 Sekunden freien Fall zu genießen. Was für ein Erlebnis, dem dank der fortgeschrittenen Technologie mit Kameramann auch Dritte beiwohnen können.
Aber ehe man sich versah, war der Filmer verschwunden - nur das Grinsen und der stechende Druck auf den Ohren blieb bestehen. Ich hätte besser an Kaugummi denken sollen - und der Fallschirm öffnete sich, sodass eine volle Ladung Adrenalin durch meinen Körper raste und der eigentliche ?Fallschirmsprung? beginnen konnte. Alles andere war Vorspiel. Unglaublich schön, nur kalt. Man musste ja lachen. Amerikanisch, mit Zähnen.
Erst als sich der grüne Fallschirm in seiner vollen Pracht entfaltet hatte, konnte man sicher - nicht, dass ich je vom Gegenteil ausgegangen wäre - und bedacht die Blicke schweifen lassen: Über den Tongario National Park, Taupo oder die rauchenden Schornsteine, die umliegenden Hügel, Vulkane und über das große blaue etwas, das sich unter meinen Füßen erstreckte, Neuseelands größten See: Lake Taupo.
Nach gefühlten Sekunden - in Wirklichkeit aber sieben Minuten - Gleiten war die Erde erreicht und eine sichere Landung aufs Parkett gelegt.
Die anfänglich problematisch geglaubte Wolkenlage, die hätte hinderlich sein können, war im Gegenteil gar angenehm - man konnte das Gefühl von Geschwindigkeit zumindest annähernd vermuten - und machte die Fotos noch ein wenig attraktiver.
Nach einem letzten Gruppenfoto am Boden, Umziehen, T-Shirt aussuchen, Bezahlen - ich musste auf dem Rückweg bei Westpack halten um die $500 von meinem Konto abzuheben, die direkt an den Busfahrer gingen - Warten auf das Anschauen sowie Aushändigen unserer Freefall-DVDs und Foto-CDs, war der Tag für mich so gut wie gelaufen und überglücklich ging ich am Abend des vierten Advents zu Bett. Der nächste Kindheitstraum, der in Erfüllung ging. Natürlich (ausschließlich) in Neuseeland.