Monster I

08.July 2011 - Chaotenhausen


Wenn ich irgendwo bin, bin ich eigentlich nie alleine. Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass ich immer eine Menge Platz brauche. Das liegt an den vielen kleinen Monstern, die immer und überall um mich herum sind und nicht wieder weggehen wollen. Ich glaube ja auch, dass sie mir immer heimlich die zweite Socke aus der Waschmaschine klauen, den Kaffee umschmeißen und mir nachts die Haare zerstrubbeln. Ja, das sind sie, meine kleinen Quälgeister, aber ich geb sie um nichts in der Welt mehr her, weil ich einen guten Grund habe.
Schon vor Tagen sprang das kleine Angst-Monster auf mein Bett und kreischte:?Ich bleib hier! Ich geh nicht in dieses Flugzeug!?, und dann klammerte es sich an meine Bettdecke und alles gute Zureden half erst mal nix. Ich mag mein kleines Angstmonster sehr. Es hilft mir, die Augen offen zu halten, aufmerksam zu sein, genau zuzuhören und nicht zu übermütig zu werden. Diesmal musste ich ihm jedoch erklären, dass es zu spät war und ob es wolle oder nicht, wir würden in dieses Flugzeug steigen und es müsste nun mal einfach mit. Es hat noch ein bisschen gemotzt, aber dann kam der kleine Mut und die Freude und so saßen sie dann zu dritt auf der Bettkante und halfen mir beim Packen. Ja, sie haben sogar ein paar Socken rausgerückt.
Wie sehr wir uns an Südafrika gewöhnt haben, stellten wir auf deutschem Boden fest. Dem Freude-Moster war schlecht, der kleine Mut kaute auf der Unterlippe und mein kleines Angst-Monster saß auf meinem Schoß und vergrub sein Gesicht in meinen Händen. Nein, schön war das nicht. Zumal wir nicht alleine waren. Wir konnten uns also nicht gut zureden und uns sagen, dass bestimmt alles in Ordnung ist. Wir sagten statt dessen einfach gar nichts mehr.
Beim Aussteigen hat die kleine Freude leider den Koffer vor den Kopf bekommen und war daher den ganzen Tag eher benommen. Mut hat Angst an die Hand genommen und so stapften sie tapfer neben mir her. Sprechen konnten wir immer noch nicht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass meine Tasche schwerer war und tatsächlich, als ich nachsah, fand ich es: da war noch ein kleines Monster ? die kleine Verlegenheit. Sie starrte mich an und ich starrte zurück. Na herrlich, das konnte ja was werden.
Während ich alle mit ins Bad nahm, ihnen gut zuredete und mir versichern ließ, dass sie sich auf jeden Fall benehmen und brav sein würden, war mir klar, dass sie hinter ihren Rücken die Finger kreuzten, denn egal, wie lieb sie mich hatten, sie blieben eben doch kleine Monster.
Auf der Fähre war uns allen schlecht. Angst saß neben Verlegenheit auf meinem Schoß, Freude hatte sich irgendwo verkrochen und Mut, die alte Socke, war auch irgendwo anders unterwegs. Nun denn, wenigstens schien unser Gegenüber nicht allzu argwöhnisch. Ich fühlte mich sogar gar nicht so unwohl. Im Gegenteil, da saß mir gegenüber der tollste Typ der Welt, was also sollte mir passieren? Ich schob also Angst und Verlegenheit ein bisschen zur Seite, ignorierte ihr Knurren und versuchte, ein wenig zu plaudern. Ging ganz gut?bis ich ein kleines Monster entdeckte, das in die Sonne blinzelte und sich am großen Zeh zupfte: der kleine Zweifel hat´s also auch irgendwie geschafft. Großartig, dann waren wir ja alle zusammen.
Weil es heiß war und essen so ziemlich das letzte war, was ich konnte, waren Alster und Co meine besten Alternativen. Die kleine Freude hüpfte auch schon ein bisschen munterer übers Kopfsteinpflaster, Angst hatte meine Hand losgelassen, Zweifel war im Getümmel verschwunden und Verlegenheit riss sich zusammen. Ich hab sie aber auch ordentlich gekniffen, damit sie die Klappe hält. Man kann sich Dinge eben doch schön trinken.
Oh jeh, wie lang so ein Tag sein kann. Meine kleinen Monster tobten abwechselnd durch die Gegend und sprangen immer wieder um mich herum. Irgendwie war´s ja auch ganz nett mit ihnen. Wir haben deshalb auch nicht wirklich viel von der Stadt mitbekommen, weil wir so mit uns beschäftigt waren. Außerdem vermuteten wir, dass unser Begleiter auch ein paar kleine Monster hatte.
Aus der Stadt zurück und angekommen auf der Dachterrasse hatte Verlegenheit die Schnauze voll und gab ihr bestes. Kein Wort kam mehr aus meinem Mund und das wurde auch durch langes in die Augen schauen nicht besser. Der kleine Mut schlug sich frustriert immer wieder gegen den Kopf und schaute mich vorwurfsvoll an. Mein kleines Angst-Monster hatte in der Zwischenzeit angefangen, mal nachzusehen, ob es Freunde finden könnte. Irgendwo mussten sie doch sein. Jeder hat zwei oder drei kleine Monster unterm Bett oder im Schrank. ?Die sind bestimmt irgendwo eingesperrt.?, krähte er und ich dachte nur: ?Ich bin wahrscheinlich die einzige Bekloppte, die euch freiwillig frei rumlaufen lässt.?
Während wir beschlossen, uns umzuziehen, weil wir essen gehen wollten, hüpfte der kleine Mut grinsend auf meinen Koffer. Ich grinste auch. Wir wussten beide, was ich anziehen würde. Meine kleinen Monster gehen schließlich auch mit mir einkaufen und der kleine Mut hatte sich dieses Kleid ausgesucht. Ich fand´s auch gut und so landete es im Koffer und schließlich trug ich es zufrieden durch den Abend.
Ich hatte beschlossen Verlegenheit einzusperren, Zweifel zu ignorieren und nur Angst, Mut und Freude mitzunehmen. Sie hopsten zu dritt hinter uns her und alles war gut.
Noch bevor das Essen kam, hatte mir der kleine Mut seine Hände auf die Schultern gelegt und so kam es, dass der tolle Typ und ich reden konnten. Und immer, wenn ich doch ins Stocken kam, sang er mir ganz leise ins Ohr: ?Ich geh mit dir, wohin du willst. Auch bis ans Ende dieser Welt??
?Oh mein Gott! Nena? Das ist ja wohl nicht dein Ernst!?, ich sah den kleinen Mut etwas verwirrt an, woraufhin er nur die Schultern zuckte und sagte: ?Wenn´s doch aber hilft.? Okay, mit Nena im Kopf, Mut hinter mir und zwei stillen weiteren Monstern lief es doch ganz gut?dachte ich, bis mir auffiel, dass der kleine Angst, sich die Ohren zuhielt. Er wollte Nena nicht hören und so kam es, dass ich das Wichtigste eben doch für mich behielt. Die kleine Freude, die sich zwischenzeitlich erholt zu haben schien, wurde leider von der Kellnerin umgerannt und fiel hin. ?Wir haben auch schon mal bessere Abende erlebt.?, seufzte der kleine Mut und trottete mit uns nach Hause.
Der kleine Angst saß auf meiner Schulter und während wir uns gegenseitig gut zuredeten, entdeckten wir es: dieser Typ hatte auch ein Angst-Monster. Ich kann nicht sagen, ob es größer war als meines, aber ich wusste sofort, dass ich meines lieber hatte und seines am liebsten davon gejagt hätte. Gerade, als wir dachten, dass wir damit leben könnten, lernten wir das nächste seiner Monster kennen und das war noch schlimmer.
Seine kleine Vernunft stand uns gegenüber und wir waren fassungslos. Jetzt wusste ich wieder, was ich vergessen hatte. Meine kleine Vernunft schick ich nämlich gern mal spielen oder einfach nach draußen, aber ich muss sie beim besten Willen nicht immer bei mir haben. Na herrlich, dafür dürfte ich mir noch was anhören.